„Berger hat ein bisschen übertrieben“

Klaus Berger ist vermutlich einer der umstrittensten Theologen unserer Zeit. In den 70er- und 80er-Jahren wurde er besonders für seine Arbeit zur Formgeschichte des Neuen Testaments bekannt. Zunächst lehrte er in München katholische Theologie, konvertierte dann aber und wurde 1974 Professor für Neues Testament in Heidelberg.

Im Juni war der inzwischen emeritierte Klaus Berger zu Gast an der Theologischen Fakultät in Leipzig zu einem Diskussionsabend mit dem dortigen Neutestamentler Marco Frenschkowski. Thema des Abends sollte das jüngste Buch von Berger sein, Die Bibelfälscher. Das Buch ist eine hochpolemische Abrechnung Bergers mit der wissenschaftlichen Theologie und insbesondere mit der historisch-kritischen Exegese, wie er sie in Heidelberg erlebt hat.

Lange im Voraus war klar, dass es ein höchst kontroverser Abend werden würde. Entsprechend voll war auch der Hörsaal, als Berger an die Leipziger Fakultät kam. Organisiert wurde der Abend vom Forum Glaube-Theologie-Leben, das von Studierenden und Mitarbeitenden der Fakultät ins Leben gerufen wurde, um das Studium zu vertiefen und mit dem Glauben ins Gespräch zu bringen.

„Hermeneutik des Verdachts“

Die Stimmung im Raum ist gespannt, als der Diskussionsabend eröffnet wird. Der hagere Klaus Berger macht einen müden Eindruck. Mit seinen wirren Haaren und seinen viel zu kurzen Anzughosen wirkt er ein wenig wie ein Relikt aus einer vergangenen Zeit.

Berger beginnt seinen Vortrag mir einer polarisierenden These. Sein Buch sei als bewusste Attacke gegen die Grundlage des Theologiestudiums in Deutschland zu verstehen. Er spricht langsam, beinahe stockend. Bisweilen kommt er aber ins Rollen und man sieht Funken der Leidenschaft in seinen Augen blitzen. Er bezeichnet die Atmosphäre der wissenschaftlichen Bibelforschung als die eines „betonartigen Kartells,“ das einem „die Luft zum Atmen raubt.“ Das ständige Hinterfragen der Echtheit von Worten und der Historizität von Ereignissen führe gegen eine Wand, da es keine brauchbaren Kriterien gebe, um irgendeines von beidem zu beweisen. Die „Hermeneutik des Verdachts“ habe der Theologie nur geschadet und für ein allgemeines Misstrauen der Menschen gegenüber dem Christentum gesorgt.

„Berger hat ein bisschen übertrieben“

Sein Alternativkonzept sei, Bibeltexte nicht zu kritisieren und „abzuurteilen“, sondern sich den Texten bewusst auszusetzen und sich auf sie einzulassen. „Es geht nicht um einen Gottesgedanken oder eine am Leben orientierte Ethik, sondern um die Wahrheit in den biblischen Texten,“ konstatiert Berger, „Judentum und Christentum sind verraten, wenn das alles nicht stimmt.“ Aufgabe von Theologen sei es, sich der Autorität der Texte unterzuordnen.

Das Schlimmste sei für ihn wenn wir sagen würden: ‘Berger hat ein bisschen übertrieben’ und uns dann zurücklehnten und zufrieden mit uns wären. Die Selbstzufriedenheit der Theologie sei „unausstehlich,“ „was nicht passt, wird ignoriert.“ Es müsse sich von Grund auf etwas ändern an der Mentalität, mit der mit der Schrift umgegangen wird. „Wir sollten uns den Texten stellen und an ihrer Fremdheit in Schwierigkeiten kommen und unter diesen Schwierigkeiten leiden. Wer das nicht durchgestanden hat, kann kein ernsthafter Theologe sein,“ schließt Berger sein Referat.

Nicht nur Wahr oder Falsch

Als nächstes ist Prof. Marco Frenschkowski an der Reihe. Dieser beginnt zunächst unverkrampft und geradezu humorvoll seine Hochachtung für Klaus Berger auszudrücken, den er „einen der spannendsten Theologen der Gegenwart“ nennt. Er habe viel von ihm gelesen und dabei „viel gelernt, sich irritieren lassen, noch mehr gelernt und sich noch mehr irritieren lassen.“

Man spürt Frenschkowski ab, dass er großen Respekt vor diesem alten Theologen hat, der so lange eine so große Rolle für die neutestamentliche Wissenschaft gespielt hat. Aber er geht auch hart ins Gericht mit Bergers Buch und dessen Thesen. Sein Hauptkritikpunkt ist, dass die Positionen, die Berger so polemisch verurteilt, häufig entweder „pauschales Paradigma“ seien oder „antiquierte Positionen, die ich noch nie von jemandem vertreten gesehen habe.“ Berger führe „Scheinargumentationen“ gegen Pappkameraden, die er selbst aufstelle um sie dann wieder niederzumachen.

Frenschkowski kritisiert außerdem Bergers binäre Sicht auf die Echtheit von Texten. Die aktuelle Frage in der Exegese sei nicht mehr die „binäre Sortierung: historisch – nicht historisch.“ Kein ernstzunehmender Theologe rede heute noch so. Es gehe um den „erinnerten Jesus,“ um die „theologischen Persönlichkeiten“ hinter den Texten. In der Antike sei eine Narration nicht immer wahr oder falsch gewesen, es habe Spielräume gegeben, die auch den biblischen Autoren nicht entgangen seien. Für die Antike einen einfachen Wahrheit-oder-Lüge-Referenzrahmen anzuwenden, findet Frenschkowski verkehrt. Damit sei „die wunderbare Komplexität der Antike und ihre Vorstellung von Wirklichkeit und Wahrheit“ völlig ausgeblendet. Die Evangelien seien „vitale und religiöse Glaubensgeschichten und keine Lügengeschichten.“

Schlagabtausch zwischen Theologen

Was folgt, ist ein intensiver Schlagabtausch zwischen den beiden Theologen.

Berger schildert seine Beobachtung, „dass die Heilige Schrift überhaupt keine Bedeutung mehr hat“ in der Volkskirche. Trage die Theologie dafür nicht auch Verantwortung? Frenschkowski will das nicht bestreiten und betont die Unmöglichkeit christlicher Existenz ohne die Bibel. Das sei aber für ihn keine Frage der Schriftautorität und Hermeneutik. „Glaube gehört nicht ins Seminar, sondern in die Kirche“. Exegese könne Glauben nicht erzeugen, sie sei „ein bescheideneres Geschäft“, so Frenschkowski. Berger hingegen findet, dass sich die Aufgabe der Exegese nicht auf kritische Begleitung der Kirchen beschränken sollte, sondern sie Mut haben sollte, ihr Gottesverhältnis zur Sprache zu bringen. Das würde nicht ihre Bedeutung oder ihren Anspruch mindern.

##Defizite der Bibelwissenschaft

Berger sieht in meditativen Methoden der Schriftauslegung eine Möglichkeit, eine neue Sicht auf einen biblischen Text zu bekommen. Dann ginge es nicht mehr nur um „eine weitere Fußnote, sondern den Kern des Textes“. Frenschkowski setzt dem entgegen, dass sich, wenn die Exegese zu früh in die Meditation führe, wir „zu schnell wieder auf das kommen, was wir immer schon geglaubt haben“ und eben die vielbeschworene Fremdheit der Texte verloren gehe. „Wenn Bibelwort Menschenwort ist, brauchen wir die gleiche Forschung wie bei anderen antiken Texten,“ meint Frenschkowski. Klaus Berger entgegnet, dass er in den vergangenen Jahren zahlreiche Briefe von Pfarrern bekommen habe, die beklagen, dass die wissenschaftliche Exegese sie „geistlich verhungern“ ließ. Es gehe ihm nicht um Recht, sondern um Verhältnismäßigkeit. Die Kirche habe die kritische Exegese zuungunsten der spirituellen Schriftauslegung bevorzugt. Frenschkowski meint dazu, dass kritische Theologie der Kirche durchaus gut tue, auch wenn sie es nicht immer bemerke.


Für mich war dies ein interessanter Abend. Das Theologiestudium wird immer dann besonders spannend, wenn zwei Dozenten unterschiedlicher Meinung sind; an diesen Stellen gibt es nach meiner Erfahrung immer am meisten zu lernen.

Einige der Kritikpunkte Bergers sind sicherlich nicht aus der Luft gegriffen. Aber ein Großteil der Positionen, die Berger „Ideologien der wissenschaftlichen Theologie“ nennt, habe ich in meinem Studium noch nie ernsthaft vertreten erlebt. Vermutlich gilt Bergers Abrechnung einer Theologie, die bereits seit Jahrzehnten überholt ist, die in der kritisierten Form kaum noch existiert, geschweige denn gelehrt wird.

Prof. Frenschkowski hat klar argumentiert und auch nicht davor zurückgeschreckt, Bergers Thesen – wo angemessen – als Unfug aufzudecken. Allerdings fand ich, dass seine Position wiederum auf Seiten des Rationalismus vom Pferd zu fallen drohte. Denn wer neue Einsichten in einen Text durch Schriftmeditiation für so unwahrscheinlich hält, unterschätzt eventuell die Möglichkeiten des Heiligen Geistes.

Tipps für Studierende

Am Ende des Abends wurden die beiden Podiumsgäste nach ihren Tipps für Studierende gefragt. Prof. Frenschkowski empfahl, dass wir über alle diese Fragen weiter kritisch diskutieren sollen, und zwar „nicht nur untereinander, sondern auch mit den Lehrenden.“ Klaus Berger befürwortete diesen Rat, fügte aber noch hinzu (und damit wurde ihm das letzte Wort gelassen), dass wir „bei Manipulation und Ideologie die Kunst des Widerstands lernen.“