Religion im Kreuzfeuer – „Religious Freedom Restoration“ in Indiana

Im US-Bundesstaat Indiana ist im Moment ganz schön was los: Die republikanische Regierung unter Gouverneur Mike Pence hat ein umstrittenes Gesetz verabschiedet, den sogenannten „Religious Freedom Restoration Act“ (RFRA). Der RFRA hat in den USA für reichlich Wirbel gesorgt, da er Geschäfteinhabern in Indiana erlauben soll, etwa homosexuellen Kunden die Bedienung aus religiösen Gründen zu verweigern.

Kurz darauf versammelten sich tausende Menschen vor dem Regierungssitz in Indianapolis, um gegen diese Form der legalisierten Diskriminierung zu demonstrieren. Unter dem Hashtag #boycottindiana riefen eine ganze Reihe von Netzpersönlichkeiten zum Protest gegen den Religious Freedom Restoration Act auf.

Gouverneur Pence gab sich unverständlich. „Hätte ich geglaubt, dass [das Gesetz] in irgendeiner Weise Diskriminierung in Indiana legalisieren würde, hätte ich ein Veto gegeben,“ teilte er in einem Statement mit.

Was genau hat es also mit diesem Gesetz auf sich? Ich konnte mir schwer vorstellen, dass in einem Gesetzesentwurf verbatim drinstehen könnte, dass Ladenbesitzer gegen bestimmte Menschen diskriminieren dürfen. Deshalb hab ich mich durchgewühlt zum tatsächlichen Gesetzestext. Dort heißt es:1

[…] a governmental entity may not substantially burden a person’s exercise of religion, even if the burden results from a rule of general applicability. (b) A governmental entity may substantially burden a person’s exercise of religion only if the governmental entity demonstrates that application of the burden to the person: (1) is in furtherance of a compelling governmental interest; and (2) is the least restrictive means of furthering that compelling governmental interest.

Das ist im Grunde der inhaltliche Kern des „Religious Freedom Restoration Act.“ Es steht da im Grunde nur, dass eine Regierung die „Ausübung von Religion“ einer Person nicht massiv belasten darf, es sei denn, die Regierung kann die Notwendigkeit oder Unumgänglichkeit dieser Belastung nachweisen.

Das hat mich doch sehr verwundert. Hier steht eigentlich nichts davon, dass mit dieser Verordnung Gleichstellungsgesetze oder gar Menschenrechte aufgehoben werden können. Dazu kommt noch, dass laut Washington Post 20 von 50 US-Staaten ähnliche RFRAs haben – und es wurde nie zum Boykott einer dieser Staaten aufgerufen.

CNN schreibt jedoch, „Indiana doesn’t currently have a law on the books protecting Hoosiers [Einwohner von Indiana] from discrimination based on sexual orientation.“ Und es gibt im us-republikanischen Lager eine Menge Leute, die gerne aufgrund von sexueller Identität diskriminieren würden und die Verordnung aus diesem Grund unterstützen. Zum Beispiel der Lobbyist Eric Miller, der auf seiner Webseite schreibt:

Here are 5 examples of how SB 101 will help protect religious freedom in Indiana: Christian bakers, florists and photographers should not be forced by the government to participate in a homosexual wedding. Pastors should not be forced by the government to conduct a homosexual wedding at the church. A pro-life business owner should not be forced by the government to rent his facility to a pro-abortion group. A pro-life business owner should not be forced by the government to provide abortion coverage for his employees. A Christian business owner should not be forced by the government to permit a male cross-dresser to use the women’s restroom.

Er behauptet zwar, dass das nicht bedeutet, dass z.B. homosexuelle Menschen in Restaurants nicht bedient werden müssen, aber ich sehe nicht so recht den Unterschied zu den obigen Beispielen. Die Frage ist doch: Wie definiert sich „substantial burden“ im Gesetzestext? Ultrakonservative Republikaner haben ein Interesse daran, diese „burden“ sehr empfindlich zu fassen. Progressive Gegner der Verordnung haben ebenfalls ein Interesse daran, „burden“ weit gefasst zu definieren, weil dadurch das Ausmaß der (republikanischen) Verordnung umso verheerender wirkt. Man muss bedenken, dass in Amerika „Konservativ“ und „Progressiv“ in einen immerwährenden Wahlkampf verwickelt sind. Vermutlich wird durch diesen Rückkopplungseffekt die Bedeutung des RFRA ins astronomische gesteigert. Ich bezweifle, dass dabei so heiß gegessen wie gekocht wird.

Traurig ist, dass die Religion in diesem Kampf immer wieder ins Kreuzfeuer gerät. Dabei hat zumindest der christliche Glaube mit dem, was die Republikaner als „family values“ bezeichen, nur noch herzlich wenig zu tun.

  1. Amerikanische Gesetzestexte lesen sich interessant. Dort wird die eigentliche Verordnung überschattet von einem riesigen Kapitel von Definitionen und Rechtsabsicherungen, in denen offenbar versucht wird, jede erdenkliche Gesetzeslücke manuell zu schließen.