Wissenschaft vs. Kreationismus

Vor einigen Monaten gab es im amerikanischen Fernsehen ein Rededuell zum Thema „Schöpfung vs. Evolution“.1 Für die Seite der Evolutionsvertreter sprach der „Science Guy“ Bill Nye; auf Seiten der Kreationisten stand Ken Ham, der Präsident des Creation Museum, in dem die Debatte stattfand. Interessant finde ich, dass diese Debatte überhaupt im öffentlichen Fernsehen stattgefunden hat. In Deutschland würde dieses Thema vermutlich kaum nennenswerte Quoten bringen.

Die gesamte Debatte ist dennoch sehenswert (Auch wer grade keine Zeit hat, die 165 Minuten Gerede anzuschauen, darf weiterlesen):

Ken Hams kreationistische Perspektive scheint mir sehr eigentümlich. Seine Spielart des Kreationismus funktioniert folgendermaßen: Die Untersuchung der Vergangenheit mithilfe der Wissenschaftlichen Methode sei prinzipiell unmöglich, da man Vorgänge, die sich in der Vergangenheit abgespielt haben, nie beweisen könne. „Keiner von uns war dabei,“ fasst er sein Hauptargument immer wieder zusammen. Ham nennt diese Unmöglichkeit „Historische Wissenschaft“. Die eigentliche „Observative Wissenschaft“ könne nur in der Gegenwart arbeiten.

Bierernst reduziert Ham den Konflikt auf die Gegenüberstellung von Schöpfung und Evolution als zwei „philosophische Weltbilder“, die mit jeweils unterschiedlichen Vorannahmen die uns gegebenen Indizien als „Historische Wissenschaft“ untersuchen. Als einzige zuverlässige Quelle über die Vergangenheit lässt Ham die Bibel zu, besonders die Schöpfungs- und Flutberichte der Genesis. Die Evolutionstheorie hält er für Ideologie mit antichristlicher Agenda.

Der charismatische2 Atheist Bill Nye argumentiert als begeisterter Wissenschaftler – was die USA an die Spitze der Weltwirtschaft gebraucht habe sei die wissenschaftliche Forschung.

Gleich zu Beginn räumt er ein, dass auch ein gesunder Wissenschaftsskeptizismus wichtig sei. Nye betont, dass das Hinterfragen von Theorien und Thesen unabdingbar für funktionierendes Forschen ist. Schließlich sei eine wissenschaftliche Theorie solange gültig, bis ein stichhaltiger wissenschaftlicher Gegenbeweis erbracht wird.

Er fährt fort, indem er aufzeigt, wie der fossile, geologische und logische Befund eine historische Sintflut nach biblischem Vorbild in seinen Augen ausschließt. Das müsse den christlichen Glauben nicht kompromittieren. Es gebe viele Christen auf der ganzen Welt, die Kreationismus nicht für notwendig für den Glauben halten.


Keine Theologie ohne Wissenschaft

Ich halte Ham für einen Heuchler: Er geht nicht auf die wissenschaftlichen Argumente Nyes ein, indem er auf der Unbeweisbarkeit all dieser Dinge beharrt. Zugleich besteht aber darauf, dass die Bibel als historisch hundertprozentig zuverlässig anerkannt wird. Ich sehe hier zwei Probleme:

  1. Er entzieht sich dem wissenschaftlichen Diskurs völlig. Sein „Verständnis“ von Wissenschaft ist weder wissenschaftlich noch konsensfähig. Es ist eigentlich sinnlos, mit solchen Leuten Debatten zu führen. Wissenschaft muss ergebnisoffen arbeiten. Es darf nicht gesagt werden: So wie’s in der Bibel steht muss es sein, wir basteln uns unsere Fakten solange zurecht, bis das alles hinhaut. Die Behauptung, dass es Evolutionsforscher im Allgemeinen auch nicht anders machen, halte ich für einen Trugschluss.
  2. Er vermischt seine wirren wissenschaftlichen Vorstellungen mit verabsolutierenden Glaubensaussagen. Er legt die Bibel in einer höchst eigentümlichen Form aus. Ham geht davon aus, dass die Schöpfungsberichte, Sintfluterzählungen und andere Bibeltexte wissenschaftlich verwertbare Informationen göttlichen Ursprungs enthalten. Ein Anspruch an die Texte, der höchstwahrscheinlich nicht ihrem Selbstanspruch entspricht. Er hält seine wissenschaftliche Position für unaufgebbar, weil das die Aufgabe seines Glaubens bedeuten würde. Ein Glaube, der auf wissenschaftliche Grundaussagen gebaut ist, ist meiner Ansicht nach kein biblischer Glaube.

Dem ersten Punkt kann man im Diskurs nicht sinnvoll begegnen. Im zweiten Punkt kann Nye ihn leider nicht brauchbar debattieren, denn er ist kein Theologe. Er erkennt zwar das Problem mit Hams Bibelverständnis, hat aber nicht genügend Fachwissen, um Hams hermeneutischen Ansatz zu kritisieren (nicht, dass es etwas geholfen hätte).

Noch ein paar theologische Worte: In Ken Hams Theologie darf es keine Jahrmillionen lange Erdgeschichte geben. Sein wichtigster theologischer Einwand ist, dass im evolutionären Modell der Tod schon vor dem Sündenfall in die Welt gekommen sein müsste. Seine Interpretation der Heilsgeschichte lässt das aber nicht zu. Hams Problem (und das vieler Evangelikaler) ist die Frage: Wenn ich selbst eine unwichtige Aussage der Bibel als überholt abtue, bringe ich damit nicht auch die anderen, wichtigeren Aussagen in Gefahr? Ich denke eine solche Hermeneutik hat ohnehin Probleme. Keine Bibelstelle kommt ganz ohne Interpretation aus. Da ist es nur vernünftig, eine einheitliche Interpretationsmethode zu finden, die wir auf alle Stellen gleich anwenden können. Und die primäre Methode dafür ist nun mal im Moment die historisch-kritische. Aber genau diese Form der wissenschaftlichen Theologie lehnt Ham entschieden ab.

Ham selbst gesteht ein, dass die Bibel nicht einfach im Ganzen wörtlich genommen werden kann. Er sagt, sie müsse „natürlich“ gelesen werden. Eine Erklärung, was er damit genau meint und wieso diese Methode der historisch-kritischen überlegen sein soll, bleibt Ham schuldig. In diesem Zusammenhang ist er hoffnungslos oberflächlich, um die logischen Lücken in seiner Theologie zu überdecken (diese Oberflächlichkeit entlarvt sogar Bill Nye als Laie). Aber weil Ham nicht erkennt, dass seine Auslegung eben nur das ist – eine Auslegung – lässt er keine anderen Möglichkeiten zu.

Man könnte jetzt fragen: Warum sollte uns das alles kümmern? Kreationismus spielt doch in der öffentlichen sowie der theologischen Debatte in Deutschland kaum eine Rolle!

Die evangelikale Bewegung amerikanischer Prägung ist hierzulande stetig am Wachsen. Das ist nicht unbedingt eine schlechte Sache. Aber mit dieser Bewegung kommen auch solche theologisch problematischen Strömungen auf uns zu. Wir müssen also als Theologen gegen solche Ideen argumentativ gewappnet sein. Deshalb lohnt es sich, schon jetzt die Debatten in anderen Ländern zu verfolgen.

  1. Das volle Thema lautete eigentlich: „Is creation a viable model of origins in today’s modern scientfic era?“. Da aber die Debattenpartner „gegeneinander“ mit ihrer Sichtweise antraten, lief es auf „Kreationismus vs. Evolution“ hinaus. Leider. 

  2. Nye trug an diesem Abend seinen Markenzeichen, eine Fliege. Seine erste Bemerkung: „Wenn ich so durch den Raum sehe fällt mir auf, dass nur einer eine Fliege trägt.“ Er ist sich im klaren ist, dass die Debatte für ihn kein Heimspiel ist, Gewinnt aber trotzdem durch seinen Charme an Glaubwürdigkeit. Das ist kein böser Ideologe, der einem den Glauben rauben will.