Lass meine Mutter aus dem Spiel!

Wir sind Charlie! Wir sind nicht Charlie!

Die Medien und sozialen Netzwerke sind gespalten. Die eine Hälfte bekundet ihre bedingungslose Solidarität mit der freien Presse gegen terroristische Gewalt. Wir sind Charlie – wer Satiriker angreift, greift unsere Grundrechte und damit unsere gesamte Gesellschaft an!

Die andere Hälfte wehrt sich gegen die Verherrlichung geschmackloser, rassistischer Karikaturen als Gipfel unserer Kultur. Wir sind nicht Charlie – wir können gleichzeitig sowohl gegen islamistische Gewalt als auch gegen unmenschliche Verunglimpfungen einer Religion sein!

Überall in Deutschland demonstrieren Pegida-Anhänger gegen die „Lügenpresse“. Sie, genau wie die Gegendemonstranten, halten „Wir sind Charlie“-Schilder in die Höhe. Mittendrin bekennt sich Sascha Lobo zu seiner eigenen Ratlosigkeit. Ich fühle mich genauso.

Letzte Woche hat Papst Franziskus sich zur Tragödie von Charlie Hebdo geäußert und meine Ratlosigkeit noch vergrößert. In einer Pressekonferenz während eines Fluges von Sri Lanka nach Manila sagte er:

Man kann nicht mit Gewalt reagieren, aber wenn [jemand] etwas übles über meine Mutter sagt, kann er auf einen Faustschlag gefasst sein. So etwas muss man erwarten. […] Es gibt eine Menge Leute, die schlecht über andere Religionen reden. Sie machen sich lustig über sie. Was passiert ist ist das gleiche, was mit meinem Freund passiert. Es gibt eine Grenze.

Ich könnte für diese Kolumne den guten Franziskus so verstehen, dass er religiös motivierte Gewalt in Ordnung findet, wenn man sich nur genügend beleidigt fühlt. Wer andere Religionen karikiert, braucht sich nicht wundern, wenn er irgendwann ermordet wird. So etwas muss man halt erwarten.

So einfach kann ich ihn aber nicht verdammen.

Ich könnte ihn auch so verstehen, dass er eine Grenze des Anstands fordert für den interreligiösen Diskurs. Dass kultureller Austausch nicht über Beschimpfungen und bösartigen Tabubruch funktionieren kann. Dass er mühevoll an einer Verständigung von Christen und Muslimen in der Welt arbeitet. Und überhaupt: ich würde es nicht auf mir sitzen lassen, wenn jemand meine Mutter beleidigt!

So einfach kann ich den Papst aber auch nicht vom Haken lassen.

Ich bin und bleibe ratlos.